Airbag für Motorradfahrer: Die Rettungsweste

      Airbag für Motorradfahrer: Die Rettungsweste

      Airbag für Motorradfahrer: Die Rettungsweste
      Von Heiko Haupt

      Airbags für Motorradfahrer sind bisher kaum über das Stadium einer Luftnummer herausgekommen. Nun allerdings hat ein italienischer Hersteller für Motorradbekleidung ein System entwickelt, dass tatsächlich funktioniert - und die Verletzungsgefahr drastisch reduziert.

      Motorradfahren spaltet die Menschheit in zwei Lager. Die einen verbinden damit ein Freiheitsgefühl à la "Easy Rider" - die anderen Todesgefahr. Während bei Automobilen in den letzten zwei Jahrzehnten große Schritte bei der Insassensicherheit erzielt wurden, sind Motorräder in dieser Hinsicht stehen geblieben. Erst 2016 wird ABS bei Motorrädern Pflicht, und es gibt nur ein einziges Motorradmodell, das mit einem Airbag ausgerüstet ist: die Honda Gold Wing.

      Genau mit Hilfe dieser Technologie soll jetzt aber die Verletzungsgefahr für Motorradfahrer drastisch gesenkt werden. Der Motorradbekleidungshersteller Dainese hat ein System entwickelt, bei dem die Airbags in die Lederkluft eingearbeitet sind.

      Im Grundsatz keine neue Idee, es gab schon Helm und Motorradbekleidung mit integrierten Luftkissen: Der sündteure Airbag-Helm wurde allerdings nach kurzer Zeit zum Schnäppchenpreis verscherbelt, weil ihn niemand haben wollte. Und aufblasbare Bekleidung schnitt in Tests bisher wenig überzeugend ab.

      Motorradunfälle sind komplex

      Das Problem: Der ideale Einsatzort von Airbags lässt sich am Motorrad nicht so einfach definieren. Anders als beim Auto hält beim Motorrad nichts den Fahrer auf der Sitzbank. Ingenieure müssen daher entscheiden: Soll der Schutz dem sitzenden Fahrer gelten, oder soll der abfliegende Biker vor dem Kontakt mit Fahrbahn, Leitplanke oder anderen Fahrzeugen geschützt werden?

      "Beim Motorrad sind viele unterschiedliche Kollisions-Varianten möglich", bestätigt Matthias Haasper vom Institut für Zweiradsicherheit. Das System in Hondas Gold Wing konnte deswegen in Crashtests zwar überzeugen - aber nur in einer ganz bestimmten Disziplin: "Es ist nur auf Frontalkollisionen ausgelegt."

      Langsame Luftpolster

      Die bisher erhältliche selbstaufblasende Schutzkleidung war da universeller ausgelegt - aber trotzdem keine Alternative. Der ADAC attestierte nach Crashtests entweder unzuverlässige Auslösung oder einen zu lange dauernden Aufblasvorgang. "So oder so brauchten bisherige Airbags viel zu lange, bis sie aktiv waren", sagt ADAC-Motorrad-Experte Rupprecht Müller. Soll heißen: Bis der Airbag optimal schützt, hätte der gestürzte Fahrer längst das Hindernis touchiert.

      Genau dieses Problem will der italienischer Zubehörhersteller Dainese nun gelöst haben. Mehr als zehn Jahre haben dessen Ingenieure an einem System zur Integration von Airbags in die Schutzbekleidung gearbeitet. In diesen zehn Jahren wurden immer wieder Crashtests und Simulationen durchgeführt, bis man der Elektronik die nötigen zuverlässigen Anhaltspunkte mitgeben können, die bei einem Motorrad auf einen Sturz oder Ausrutscher hindeuten.

      Gleichzeitig wurde das System als D-Air-Racing ausgiebig im Rennsport getestet. Die Weiterentwicklung dieser Profi-Schutzkleidung für den Alltagseinsatz trägt die Bezeichnung D-Air-Street und kam nun nach Verzögerungen im letzten Quartal 2012 tatsächlich auf den Markt.

      Der ADAC ist beeindruckt

      Auf den ersten Blick ähnelt D-Air den bisher verschmähten Airbag-Klamotten: Jacken und Westen, in denen sich ein schützender Luftsack aufbläst. Doch wie sich bei einem Crashversuch des ADAC mit D-Air-Street zeigte, ist das System inzwischen perfektioniert. Die Ergebnisse des Autoclubs sind zwar noch nicht veröffentlicht, doch Insider berichten, dass das System dort ordentlich Eindruck gemacht hat.

      Der TÜV Süd hat D-Air ebenfalls unter die Lupe genommen - und zwar nicht einmal, sondern rund 800 Mal. Schließlich haben die Sachverständigen das Projekt über die vielen Entwicklungsjahre begleitet und immer wieder geprüft. Laut David Bordeaux vom TÜV SÜD ging es bei den Untersuchungen um das Schutzniveau genauso wie um den Algorithmus für das Auslösen der Airbags in verschiedenen Unfallsituationen, die allgemeine Zuverlässigkeit und auch die Witterungsbeständigkeit. "Das Dainese-System hat alle Tests bestanden", fasst Bordeaux zusammen. "Es ist sicher und es bringt die Funktionen, für die es gedacht ist." Dainese hat ein komplettes System entwickelt. Dazu zählen Bewegungssensoren an Gabel und Rahmen des Motorrads, die frühzeitig auf eine Gefahrensituation hinweisen. Die Kleidung kommuniziert zudem ständig mit der Steuereinheit des Systems, und aktiviert im Notfall die integrierten Airbags in 45 Millisekunden - deutlich schneller als bisherige Systeme. Die wurden durchweg via Reißleine gezündet - Fahrer fliegt, Leine reißt, Airbag pumpt auf.

      Im Notfall schützen bei D-Air-Street zwei Luftsäcke mit jeweils zwölf Litern Volumen besonders gefährdete Bereiche des Oberkörpers. Sie entfalten sich so, dass sie den gesamten Rückenbereich und den Brustkorb mit einem Luftpolster belegen. Gleichzeitig legen sie sich in Form eines luftgefüllten Schlauches um den Hals, begrenzen so gefährliche Kopfbewegungen und polstern die Schlüsselbeine. Sogar an die Wiederverwendung hat man gedacht: Auf Wunsch wird die Schutzkleidung inklusive der Technik im Werk wieder aufbereitet. Allerdings ist D-Air eben kein Ganzkörperschutz, beschränkt sich auf die Polsterung gefährdeter Bereiche des Oberkörpers.

      Doch auch D-Air hat einen Haken: Den Preis. Die Weste kostet 750, die Jacke 1540 Euro. Das ist an sich schon recht heftig, hinzu kommt aber noch die MKit genannte Steuereinheit zum Anbau am Motorrad für rund 450 Euro. Eine D-Air-Racing-Kombi für ambitionierte Sportfahrer ist für knapp 3000 Euro zu haben. Das ist natürlich eine Stange Geld. Auf der anderen Seite gibt es nun wohl erstmals die Möglichkeit, Freiheit à la "Easy Rider" zu genießen - bei deutlich geringerer Todesgefahr.

      Quelle: spiegel.de/auto/aktuell/motorr…rtem-airbag-a-885387.html
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      Die Rettungsweste für Biker

      09.04.2013, 10:54 Uhr
      Der Anschnallgurt im Auto gilt als Lebensretter Nr. 1, gefolgt vom Airbag. Auf beides mussten Motorradfahrer bislang verzichten. In Sachen Bekleidung und Sicherheit rüsten hoch spezialisierte Anbieter aber nun auf.

      Frankfurt/DüsseldorfEine Fahrt mit dem Motorrad ist gefährlicher als mit einem Auto. Diese Erkenntnis hält einen Großteil der Menschen davon ab, überhaupt auf ein schnelleres Zweirad als ihre alte Vespa zu steigen. Ein anderer Teil der Menschheit pfeift auf das Risiko und genießt in vollen Zügen die Freiheit auf ihrem Motorrad. Wieder ein anderer Teil versucht, das Motorradfahren so sicher wie möglich zu machen.

      Bei einem Sturz können Motorrad-Fahrer bislang – von einigen Speziallösungen einmal abgesehen – nicht von einem Airbag an ihrer Maschine geschützt werden.

      Der integrierte Fahrer-Airbag an einer Honda Goldwing zum Beispiel schützt nur bei einem Frontaufprall. Wird der Fahrer beim Sturz aber von seiner Maschine getrennt oder seitlich von einem Auto getroffen, verpufft die Wirkung des schützenden Luftsacks im Nichts.

      Motorrad-Rennfahrer wie Stefan Bradl stürzen oft bei Geschwindigkeiten jenseits der 200 km/h, schütteln sich einmal und stehen wieder auf. Das gelingt den MotoGP-Stars nicht nur wegen der weiten Auslaufzonen der Rennstrecken, sondern auch dank der Airbag-Systeme, die in ihre maßangefertigten Lederkombis eingenäht sind. Hersteller wie Alpinestars, Dainese oder Spidi haben solche Systeme bereits im Angebot. Doch nicht jeder Biker will in einer Rennkombi unterwegs sein. Stellen Sie sich Valentino Rossi in seinem Rennleder auf einer Harley vor...

      Deshalb hat der Bekleidungs-Spezialist Dainese ein neues System namens „D-Air Street“ entwickelt, bei dem der Airbag ebenfalls in die Bekleidung des Fahrers integriert ist. Wahlweise gibt es eine Textiljacke, in die der Luftsack eingenäht ist, oder eine separate Weste, die über der Schutzkleidung getragen wird. In beide Kleidungsstücke ist zwei je zwölf Liter große Luftsäcke eingenäht, die in 45 Millisekunden mit einem Kaltgas gefüllt werden können. Gegenüber einem herkömmlichen Rückenprotektor bietet „D-Air Street“ nach Herstellerangaben einen bis zu 72 Prozent besseren Schutz. Zudem verhindert der aufgeblasene Airbag das Überstrecken des Halses beim Wegrollen.

      Von der Funktions- und Wirkungsweise des Systems hat sich der TÜV Süd überzeugen können. Sachverständige des TÜV haben die Entwicklung des Systems über Jahre begleitet - und inzwischen ausgiebig getestet. Nach über 800 Zündungen und Tests des Schutzniveaus, der Zuverlässigkeit und der Witterungsbeständigkeit bilanziert David Bordeaux vom TÜV Süd: „Das System ist sicher und hat alle Tests bestanden.“

      Die Funktionsweise des neuen Systems ähnelt dem der Renn-Lederkombis, ist aber für den Einsatz auf der Straße optimiert. Bei den Lederkombis sitzt die nötige Elektronik samt GPS-Einheit im Schutzhöcker. Da Textiljacken nicht über einen solchen Höcker verfügen, musste eine andere Lösung her.

      Bei „D-Air Street“ sitzt die Sensor-Einheit am Motorrad. Neben einigen Beschleunigungs-Sensoren am Rahmen baut der Dainese-Händler noch Fühler an der Federgabel an. Mit diesen Daten errechnet der Computer, wann gezündet wird und wann nicht.

      Das funktioniert über eine per SIM-Karte gesicherte Funkverbindung. So wird sichergestellt, dass auch wirklich nur die zu dem Motorrad gehörende Kleidung gezündet wird. Befindet sich ein anderer Biker, der das System ebenfalls nutzt, innerhalb der Funkreichweite, wird sein Airbag nicht ausgelöst.

      Wer mehrere Motorräder besitzt, der benötigt auch für jedes Bike eine eigene Sensor-Einheit. Vor der Fahrt muss dann nur die passende SIM-Karte eingesetzt werden.

      Noch ein Unterschied zu dem Renn-System: der Schutzbereich. Während der Airbag der Rennfahrer vor allem die Schultern, den Nacken und die obere Wirbelsäule abdeckt, schützen die beiden je zwölf Liter großen Luftsäcke des neuen Straßensystems den gesamten Rücken und die Brust - wie eine Rettungsweste.

      Grundsätzlich neu ist die Idee nicht, Airbags in die Schutzkleidung der Motorradfahrer zu integrieren. Sämtliche Angebote, wie zum Beispiel ein Helm mit eingebauten Luftkissen, sind entweder an ihrer in der Praxis unzureichenden Funktionsweise oder ihrem exorbitant hohen Preis gescheitert. Der erste Punkt ist laut TÜV inzwischen ausgeräumt.

      Ob die Kosten von 1.540 Euro für die Jacke oder 750 Euro für die Weste zu viel sind, muss jeder Biker selbst wissen. In beiden Fällen kommen noch 459 Euro für die Sensor-Einheit am Motorrad hinzu. Sicher ist: Im Falle des Falles kann der Airbag über Leben oder Tod entscheiden.